123 Tage, 17 Wochen oder anders gesagt mehr als 3 Monate lebten internationale Gäste bei uns in der Sophienstraße in Berlin-Mitte. Die „internationalen Gäste“ waren Flüchtlinge und „uns“ bzw. „wir“ sind der CVJM-Landesverband Berlin-Brandenburg. Im Herbst letzten Jahres kam das Landesamt für Gesundheit und Soziales auf uns zu mit der Anfrage, ob wir Flüchtlinge aufnehmen könnten. Danach musste vieles sehr zügig organisiert werden: Woher kommt das tägliche Essen, wie schnell lässt sich eine gebrauchte Waschmaschine besorgen, wer trägt die Stockbetten in die Notunterkunft im 4. Stock und welche Menschen kommen woher aus welchen Gründen und mit welchen Problemen zu uns? Werden sie sich wohlfühlen?
Zwischen Arztbesuchen und Ämtergängen, trotz Sprachproblemen und Missverständnissen, im Wechsel zwischen Bangen und Hoffen auf die Zukunft haben sie uns von ihren Schicksalen erzählt, geweint und gelacht. Die orthodoxen Christen aus Serbien mit den fünf Kindern, die als Roma vor Diskriminierung fliehen mussten, haben uns Videos ihrer Heimatgemeinde gezeigt. Den Jesiden aus Nordsyrien, die aus Angst vor der IS ihr Land verlassen haben, haben wir Deutschunterricht gegeben. Für die Kinder der albanischen Familie aus dem Kosovo haben wir eine Schule gesucht und schließlich gefunden. Xhentas Augen strahlten, als sie die Nachricht eines Schulplatzes für sie bekam! Wir haben viel Zeit mit ihnen verbracht, geredet, gebastelt, gespielt und Weihnachten gefeiert.
Unsere internationalen Gäste waren auch bei uns nur auf „Zwischenstation“. Der Großteil ihres Tages bestand aus Warten – selbst die Abwechslung unserer Angebote konnte nicht von den drängenden Fragen ablenken: Wo geht es hin? Wo finde ich Heimat? Wann komme ich an? Wem kann ich vertrauen? Diese Fragen konnten nicht ausgeblendet werden. Sie hielten Frustpotential und Enttäuschungen bereit. Auch für uns Mitarbeitende. So konnten wir auf Grund von Missverständnissen und kulturellen Barrieren die Abschiebung des 17-jährigen Sohnes der serbischen Familie beispielsweise nicht verhindern. Aber bei aller persönlichen Enttäuschung, die das für uns als Helfende bedeutete, wussten wir wie herausfordernd die Situation für unsere Gäste ist. Alle haben Schlimmes durchgemacht, Vertrauen kann nur langsam wachsen und Heimat lässt sich nicht in wenigen Wochen finden. Dazu kamen noch die Sprachschwierigkeiten, die nicht immer leicht, aber manchmal auch erheiternd waren. So notierte Reinhard, ein ehrenamtlicher Helfer, einmal in unser „Tagebuch“: Die Kommunikation lief heute wie stille Post. Ich spreche englisch zu Xhenta, sie albanisch zu ihrem Vater und der serbisch zu Marjan. Am Ende haben wir gesungen. Als wir über Bibeltexte sprachen, erzählte Marjan, dass Psalm 23 ihm ganz wichtig ist. Miodrag und Jemin haben angefangen ihn zu singen. Das war schön. Hoffentlich war es den Nachbarn nicht zu laut. Und selbst wenn: wir haben das Leben mit den internationalen Gästen in der Sophienstraße in Berlin-Mitte genossen.